Sonntag, 21. November 2004

Die Kindheit von Dr. Hans-Franziska Gotteswinter 2. Teil - Segen von Oben

Marie Elisabeth Antoinette, ihre durchlauchte Heiligkeit vor Gottes Gnaden geborene Kesselfleisch verheiratete Gotteswinter stand am Bügelbrett. Sie verrichtete ihre tägliche Hausarbeit und war glücklich. Und daß, obwohl es Ende der 40’er Jahre noch sehr, sehr dunkel war in Deutschland. Zwar stand das Wirtschaftswunder schon vor der Tür, jedoch hatte dies noch niemand zur Kenntnis genommen. So gingen alle brav ihrer Nachkriegstätigkeit nach. Steineklopfen war angesagt - von Industrialisierung noch keine Spur. Abraham Gotteswinter war gerade wieder auf den Straßen der großen Stadt unterwegs und verkaufte Selbstgebasteltes. Er hatte sein Spektrum erweitert. Jetzt veräußerte er nicht nur Seidenblumen, sondern auch sogenannte echte Blumen. Ein exquisiter Holland-Import, der praktischerweise nach ein paar Tagen verwelken tut und so seinen Besitzern nicht länger zur Last fällt. Und wollte dieser doch wieder etwas Blühendes haben, so mußte er es immer wieder neu erwerben. Eine geniale, äußerst erträgliche Geschäftsidee. Wirtschaftsbosse erkannten darin eine Trendwende. Abraham Gotteswinter hatte in Sachen Wegwerfgesellschaft den ersten Stein weggeworfen. Halt! Geworfen hatte er den Stein natürlich. Geworfen, nicht weggeworfen! Das ist aber auch nur so eine Phrase, eine Redensart. Floskel könnte man es auch nennen, Sprachschnörkel, Idiom, sprachliches Attribut. In Wirklichkeit hatte Abraham Gotteswinter sein ganzes Leben lang noch keinen einzigen Stein geschmissen. Bei den Studentenunruhen 1968 hat er einen Pflasterstein gegen den Kopf geworfen bekommen und schweren Schaden davon getragen. Er hielt sich danach für unwiderstehlich, während er sich ausschließlich von Schwarzwälderkirschtorte ernährte. Aber nur dann, wenn sie ein magersüchtiger Bäcker buk, dessen schwuler Sohn 200 Mark bei einer Schönheitskonkurrenz gewonnen hatte, weil er den Linienrichter bestach, was bei den Damen und Herren der feinen Gesellschaft aufs Prekärste verpönt war. Jedoch war das nicht der Grund, warum Marie Elisabeth Antoinette, ihre durchlauchte Heiligkeit vor Gottes Gnaden geborene Kesselfleisch verheiratete Gotteswinter Ende der 40’er Jahre daheim am Bügelbrett stand und glücklich war.

Grund ihrer Glücklichkeit: Heute Morgen hatten die Alliierten Care-Pakete abgeschmissen. Jede Familie bekam eins, weil es die Amerikaner richtig adressiert hatten. Wie das geschah? Zuvor hatten sich die Wohltäter das Telefonbuch der großen Stadt bei eBay ersteigert und danach dem Azubi Norbert K. die Anweisung gegeben, alle dort drin vorhandenen Adressen auf die Pakete zu schreiben. Keine zehn Stunden später segelten die Gaben nieder. Der ganze Himmel war von bunten Schirmchen übersät. Vor voller Vorfreude nahmen sich Kinder, die mit langen hungrigen Hälsen gen Himmel starrten, bei den Händen und tanzten stundenlang Ringelrein und Hänschen klein. Marie Elisabeth Antoinette war gerade beim Abspülen des khakifarbenen Kaffee-Geschirrs, als ihr persönliches Care-Paket vor ihrer Haustür landete, nachdem es im Vorbeifliegen noch schnell an der Türklingel klingelte. Was würde wohl ihr Mann Abraham sagen, wenn er von der Arbeit zurückkommt? Oder ihr kleiner siebenjähriger Sohn Hans-Franziska, der in der Schule gerade Herzlogarhythmusstörungen durchnahm? „Das ist der glücklichste Tag in meinem Leben“ rief sie ihrer Nachbarin Else Koschinsky zu, die gegenüber an ihrem offenen Küchenfenster lehnte und Zigarre rauchte, während Marie das Geschenkpräsent über die Haustürschwelle in den gothischen, indirekt beleuchteten Flur, gebaut im modernen Stil der Zeit, schleppte. „Das Paket muß mindestens 100 Kilo wiegen“ stöhnte Marie-Antoinette. Sie wuchtete die riesige Kiste voller Leckereien in den 7 Stock, wo sie und ihre kleine Familie in ihrem gemütlichem 5 ½ quadratmetergroßen Zweizimmerappartement ihren täglichen Bedürfnissen nachgingen. „Was mag da alles drin sein?“ dachte sie sich. Sie versuchte vorsichtig den Deckel zu öffnen. Spannende Neugierde durchstrich ihr Wohnzimmer. Gleich würde sie wissen, was den Inhalt der Sendung aus Amerika ausmacht. Und siehe da, was sie im Innersten des Pakets entdeckte, stand jenseits jeglicher Erwartungen. Tränen der Freude standen ihr in den Augen. Zu gütig, was ihr da entgegenquoll.

Leider waren die Amerikaner mit der Wahl ihrer Geschenke etwas naiv. Marie Elisabeth Antoinette, wie auch die vielen anderen Millionen Empfänger konnten mit dem Inhalt nicht besonders viel Richtiges anfangen. Diese Tatsache war jedoch nur halb so schlimm, denn niemand war sich darüber bewußt, etwas falsch verstanden zu haben. So war Marie Antoinette der glücklichste Mensch der Welt, als sie sich die Erdnussbutter in die Haare schmierte, den rosafarbenen Creme-Pie gegen das Federbett ihres Sohnes austauschte, mit den Marshmallows die Badewanne schrubbte, den Football zu Honigmelonenkompott verarbeitete, den Fleischklops aus dem Hamburger entfernte und sich so über den neuen Untersetzer für das Bierglas ihres Mannes freute, während ihr die zwei Semmelhälften als Ohrenwärmer in dieser kalten Jahreszeit zur Seite standen. Auch schien sie es für vollkommen normal zu halten, als sie ihre Familie das Base-Ball-Cape der L. A. Tigers als tragbare Toilette benützen ließ und die ebenfalls abgeworfene pastellgrüne Einbauküche für 3 Mark 50 als Eigentumswohnung an die obdachlose Schwester von Else Koschinksy verhökerte.

„Hach, die Welt ist schön!“

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